Es ist Sonntag der 15.12.2019. Die Nachrichten von der Klimakonferenz in Madrid, wo trotz abgelaufener Zeit um das Schlussdokument gerungen wird, machen klar, es wird bestenfalls ein wenig revolutionärer Kompromiss. Kaum mehr als kein Rückschritt. Das entmutigende Ergebnis macht eines klar: Kaum einer der offiziellen Politiker oder Vertreter von Organisationen und Nationen hat scheinbar begriffen, worum es beim Wandel, aber viel mehr noch WIE Transformation wirklich geht, was wirklich Neu denken und machen braucht, um gelingen zu können.
Damit meine nicht die richtigen Sachfragen und Daten, die in Prozenten, Euros oder Kilotonnen auszudrücken wären. Im Gegenteil. Denn in alter Manier werden Unterschiede, berechtigte Eigeninteressen der unterschiedlichsten Einflussgruppen, Nationen und Kontinente gegeneinander in Stellung gebracht. Es wird verhandelt. Diplomatisch aufpolierter Eigennutz, ganz im Geist unserer gut geübten Eroberer und Ausbeutermentalität. Kämpfen, stur festhalten, taktieren, fordern, lügen, drohen und ein bisschen betrügen, um die eigenen Rechte auf die subjektive Wahrheit und den rechtmäßig erworbenen Wohlstand, oder zumindest die Perspektive darauf, zu verteidigen.
Ein altes und unbrauchbares Denken, weil es ein für die Anforderung des Wandels unanwendbares Problemlösungsverhalten hervorbringt. Ein Denken, das ganz nebenbei auch jene Probleme erzeugt hat, zu deren Lösung es nun eingesetzt werden soll. Klingt unmöglich. Ist es auch.
Echte #Transformationskompetenz, das getraue ich mir auch aus der Ferne zu attestieren, ist in diesen Prozessen wenig vorhanden. Vom echten Willen zum guten Ergebnis der Beteiligten bin ich jedoch überzeugt. Ein Widerspruch? Nein.
Aber auch im Alltag der #Transformation in Unternehmen zeigt sich, viele Führungskräfte verstehen nicht, worum es beim Wandel geht. Egal ob es um die tiefgreifenden Fragen der #Digitalisierung, #Agilität, des #New Work, des #Klimawandel oder um #Nachhaltiges Wirtschaften geht. Warum? Führungskräfte wünschen sich, völlig nachvollziehbar, aber dennoch der Anforderung tiefgreifenden Wandels nicht angemessen, schnell umsetzbare und intern gut verkaufbare Lösungen. Sie suchen nach Patenrezepten und Klarheit für heute und für die nahe Zukunft, ja Rezepte, Tipps und Tricks sind gefragt. Bitte keine philosophischen Fragen, die keine umsetzbare Sofortantwort ermöglichen, denn das nächste Reporting ist schon bald.
Keinesfalls soll und darf der Wandel eine Störung der gutgeölten Organisationsmaschine sein. Darum schnell nach einem Buch über Zukunftstrends gegriffen, Wissen von Experten, um die Strategie quartalsweise zu adaptieren. Denn es ist viel zu tun, also packen wir es schnell an. Wer versucht inne zu halten, hat schon viel, wahrscheinlich zu viel Zeit verloren.
Wollen Führungskräfte Wegbereiter der Transformation sein und Organisationen durch die Wellen des Wandels führen und dazu tiefgreifend transformieren? Ja, davon bin ich überzeugt. Verstehen Führungskräfte welche grundlegende Orientierungsfragen heute auf nahezu jedes Unternehmen einwirken? Ja, ich denke schon. Können sie echte Wandlungsprozesse in Organisationen ermöglichen? Nein, meist nicht. Es fehlen sowohl die Einsicht in den andersartigen Prozess des Wandels als auch die persönliche #Transformationskompetenz und damit die Akzeptanz von anderen als mechanistisch angelegten Prozessen.
So darf noch immer, obwohl der Wandel sicherlich heute „das“ Thema ist, keine Störung des alltäglichen Funktionierens, des bisherigen Denkens und Verstehens, des Glaubens an Grenzen und Zusammenhänge passieren. Nur keine Unsicherheiten wo vorne ist, was möglich und unmöglich, richtig oder falsch ist, aufkommen lassen.
Die Vorstellung, dass Erneuerung zunächst eine Unterbrechung, eben einen Bruch der bisherigen Sicherheit und ein Ende braucht und dazu einen Zwischenraum, Distanz, Leere, Stille und Nichtwissen benötigt, ist auch heute noch meist anschlussfähig. Schneller, besser, keine Unterbrechung, keine nutzlose Nachdenklichkeit. Lieber ein paar Mails mehr weggearbeiten, dann wird die Liste an wartenden Tätigkeiten kürzer. Stimmt. Die Zeit zum Handeln aber auch. Das ist den Politikern in Madrid bewusst. Darum arbeiten Sie weiter, Samstag, Sonntag, sie wollen ein gutes Ergebnis, doch in welchem Bewusstsein? Im alten Verhandlungsmodus kann und wird es nicht gelingen.
Will ich großen Unmut und Widerstand bei den ZuhörerInnen meiner Vorträge oder TeilnehmerInnen von Transformationstrainings provozieren, dann geht das am effektivsten mit: Nichts. Mit einer Sinnlücke, einer scheinbaren Nutzenpause, Freiraum oder einer nicht beantworteten Frage, die einfach so im Raum herumsteht.
Doch genau das Vermögen zur Stille, Besinnung, temporären Nutzlosigkeit und damit Aufnahmefähigkeit anderer Eindrücke als den in alten Nutzenverständnissen, zählt zu den Basiskompetenzen der Transformation. Die Fähigkeit zur Distanz, zum Loslassen, zur Unterbrechung des geschäftigen Wiederholens von Meinungen, Positionen, Tätigkeiten und Wahrheiten.
Die persönliche, wie (organisations-)kulturelle Fähigkeit zum Zwischenraum ist ein guter Anfang, um neues Denken einzuladen. Die Erlaubnis außerhalb der bisherigen Nützlichkeit Aufmerksamkeit auf noch Sinnloses zu verwenden, ist eine der größeren Herausforderungen unserer Zeit.
Heute ist Sonntag. Sonntage waren früher auch Zwischenräume. Immer öfter werden sie mit altem Denken schon während der Woche vernutzt, um möglichst viel für unsere Erholung, Kinder, Gesundheit, Fitness oder Bildung zu leisten. Vielleicht wäre es ein guter Anfang zu überlegen, was ein sonntäglicher Zwischenraum wäre. So ganz ohne Ziel und Hoffnung, einfach nur Raum für Nichts. Ein Zwischenraum für zufällige Erneuerungen, für frische Gedanken, die uns plötzlich vor die Füße fallen.
Transformation ist: Die Fähigkeit zum Zwischenraum!